Sabine auf der Suche nach ihrem Großvater

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Diese Geschichte begann während des 2. Weltkrieges

André musste mit 27 Jahren wie so viele Männer für Frankreich in den Krieg ziehen. Zurück ließ er seine Frau Victorine Germaine und seinen Sohn Jacques, 2 Jahre.

André kam 1940 mit einem Gefangenentransport von Frankreich nach Österreich in ein Gefangenenlager.

Männliche Arbeitskräfte gab es zu dieser Zeit so gut wie keine mehr, die Männer kämpften für ihr Vaterland an den Fronten und in fremden Ländern.

So kam es, dass man Zwangsarbeiter aus den Lagern holte und wie das Schicksal es so wollte, war André darunter. Er bekam im Klosterhof eine Anstellung als Koch, denn das war ja sein Beruf.

Im September 1948 kam Maria als Küchenhilfe in den Klosterhof, Andrè verliebte sich in sie und blieb der Liebe wegen in Österreich. Wann er Maria erzählte, dass er in Frankreich Frau und ein Kind hatte, kann niemand mehr sagen.

Andrè und Maria bekamen 2 Kinder, einen Sohn und eine Tochter, erst viele Jahre später als André starb, erfuhren die Kinder von ihrem Halbbruder Jacques in Frankreich.
Maria und Andrè hatten nie geheiratet, da sich Victorine, seine Frau in Frankreich, nie scheiden ließ. Maria hatte sich nie damit abgefunden und wollte im Tode nicht bei André im gleichen Grab liegen.

 

In Frankreich wurde 1969 ein Mädchen mit dem Namen Sabine geboren. Sie war die Tochter von Jacques und Marie-Rose Mariette. Schon als kleines Mädchen spürte sie immer diese Sehnsucht in ihrem Herzen, sie konnte es nicht deuten, doch es fehlte ihr immer etwas.
Als sie älter wurde fragte sie immer, warum sie nur

einen Großvater habe, wo denn der andere sei? Sie fragte ihren Vater, ihre Mutter, sie erhielt jedoch nie eine zufriedenstellende Antwort. Es blieb ein Geheimnis. Auch ihre Großmutter, bei der sie fast jeden Sonntag zu Besuch war, sprach nie ein Wort über ihren Mann. Dieser André Mariette existierte nicht und man sprach nicht über ihn.

 

Als die Großmutter 1975 starb, fand der Vater von Sabine viele Briefe und Fotos von seinem Vater. Er wollte von den Briefen jedoch nichts wissen, denn seine Mutter sprach nur böse über seinen Vater. Victorine war eine verbitterte, ungerechte und harte Frau, sie hasste André, weil er sie und seinen Sohn verlassen hatte. So wuchs Jacques mit dem Gedanken auf, dass sein Vater ihn nicht liebe. Seine Mutter hatte ihren Hass auf Andrè an ihren Sohn weitergegeben. (Victorine jedoch wusste, wie man das Leben genoss)

Als Jacques ca.16 Jahre alt war, stand er plötzlich seinem Vater gegenüber, sein Vater rief ihn „Kiki“. André wollte mit seiner Frau sprechen (vielleicht wollte er wegen der Scheidung mit ihr sprechen?) Jacques war wütend und voller Verachtung seinem Vater gegenüber, er sagte zu ihm: „Ich habe keinen Vater“ und spuckte ihn an. Das war das letzte Mal, dass sich Vater und Sohn gesehen haben.

Dies erzählte Jacques einmal Sabine, er sprach zwar nie über seinen Vater, doch diese Begegnung musste für ihn so prägend gewesen sein, dass er es ihr erzählte. (Vielleicht tat es ihm, im Alter auch leid, wer weiß das schon?)

Jacques gab die Briefe und Fotos seiner Frau und sagte: „Vernichte das alles, ich will sie nicht“. (Ob er diese Briefe je gelesen hat?) Seine Frau warf die Briefe und Fotos jedoch nicht weg, irgendeine Macht bewahrte sie davor und so gerieten sie in Vergessenheit.

Als Jacques 37 Jahre war, erhielt er die Nachricht vom Tode seines Vaters. Er verspürte keine Trauer, es berührte ihm nicht, für ihn war sein Vater schon vor vielen, vielen Jahren gestorben.

Er wollte nur wissen wie seine Halbgeschwister in Österreich aussehen, und verlangte Bilder von ihnen. Das war der ganze Anspruch, den er stellte, mehr wollte er nicht.

Sabine war zu dieser Zeit gerade mal 5 Jahre,5 Jahre, in denen sie ihren Großvater gerne kennen gelernt hätte.

(Ein halbes Jahr später verstarb auch die Ehefrau von André „Victorine“ in Frankreich)

Weitere Jahre vergingen und Sabine ließ nicht locker, sie fragte immer wieder nach ihrem Großvater, doch sie erntete nur Schweigen und stand vor verschlossenen Türen.

Sabine liebte es, in alten Fotos zu stöbern, und als sie eines Tages mit ihrer Mutter wieder alte Fotos durchsah, bemerkte sie einen unbekannten blauen Umschlag. Voller Aufregung und Neugier öffnete sie diesen Umschlag, er enthielt eine Menge Briefe und Fotos von einem Mann, den sie nicht kannte.
Sie fragte Ihre Mutter, wer das sei und erhielt folgende Antwort: „Das ist dein Großvater, der Vater deines Vaters“. Sabine lief sofort voller Aufregung mit einem Foto in der Hand zu ihrem Vater und sagte: „Papa, das ist mein Großvater und der sieht ja aus wie du!“ Ihr Vater wurde wütend und Sabine bekam eine Ohrfeige, mit seiner Frau schimpfte er, er hatte ihr doch gesagt sie solle alle Briefe und Fotos vernichten.

Sabine nahm still und leise die Briefe und Fotos an sich und versteckte alles sehr gut, sie hütete es wie einen kostbaren Schatz.

Ab diesem Moment machte sich im Herzen dieses kleinen Mädchens eine große Liebe für ihren Großvater breit.

Weiter Jahre vergingen, Sabine heiratete und bekam Kinder, sie hatte sehr viel zu tun und dachte nicht mehr an den blauen Umschlag. Jedoch in ihrem Fotoalbum bekam ein Foto von ihrem Großvater einen festen Platz.

2005 verstarb der Vater von Sabine viel zu früh für die Familie. Es war der 13. Jänner und das Paradoxe war, dass sein Vater André an einem 13. Jänner geboren wurde.

Eines Tages fiel Sabine der blaue Umschlag wieder ein, sie holte ihn aus seinem Versteck und öffnete ihn voller Spannung. Sie war erstaunt und glücklich, endlich etwas von ihrem Großvater in den Händen zu halten, sie verschlang mit Leidenschaft diese Briefe. Bei einigen Briefen musste sie auch weinen. je mehr Briefe sie las umso klarer wurde es ihr, dass man ihren Großvater Unrecht getan hatte, er liebte seine Frau und seinen Sohn aufrichtig. Er war ein anderer Mensch als man ihr weismachen wollte.

 

 

 

 

 

 

Für Sabine waren diese Briefe eine Reise in die Vergangenheit, ihr Großvater schrieb voller Zärtlichkeit und Liebe an seine Frau und seinen Sohn.
André schrieb diese Briefe in den Kriegsjahren 1943/44, in einer Zeit, da die Familie der einzige Halt für die Männer im Krieg war.

Von diesem Moment an gab es für Sabine nur noch einen Gedanken. Wer war mein Großvater, was war er für ein Mensch?

Sie wusste, dass er schon lange tot war, doch sie wollte diesen Menschen, der sie in seinen Briefen zum Weinen gebracht hatte, kennenlernen. Sie wollte wissen, wie er lebte, sie wollte ihren Onkel, ihre Tante, ihren Cousin und Cousinen kennen lernen. Sie alle gehörten doch zu ihrer Familie.

 (Es war Sasbine egal, was damals passiert war, was ihre Großeltern getrennt hatte, es war deren Geschichte!)

Nun gab es keinen Halt mehr, sie verbachte viele Stunden damit zu recherchieren. Zuerst jedoch ohne Erfolg, sie war verzweifelt und dachte schon, dass sie es nicht schaffen würde.

Als sie schon nicht mehr daran glaubte, fand sie auf Facebook eine Seite der Österreichisch-Französischen Gesellschaft in Linz. Sie schrieb diese Gesellschaft an und schilderte ihre Geschichte.

Karin die diese Geschichte las, erkannte sofort, das war ein Hilferuf und nahm sich ihrer an. Sie fand das Grab von ihren Großvater André, ließ es fotografieren und schickte ihr das Foto.

Sabine war außer sich vor Freude, es gab eine Spur, sie hatte ihren Großvater endlich gefunden!
Nun war ihr das aber nicht mehr genug, nun wollte sie auch ihre Verwandtschaft kennen lernen. Da Sabine kein Deutsch spricht, war es natürlich sehr schwierig, aber nicht hoffnungslos.

Also wendete sich Sabine wieder an die leidenschaftliche Ahnenforscherin: Karin und diese half ihr gerne.

Karin machte sich gleich auf die Suche, sie erkundigte sich wer diese Grabstätte bezahlte, denn dadurch hatte sie eine Verebindung zu dem Verstorbenen. So fand sie den Namen von Sabines Onkel und von da an ging es Schlag auf Schlag weiter.

Am 27.10. 2020 meldete sich die Frau von Onkel Andreas (Andi) Tante Liselotte aus Österreich bei Sabine. Für Sabine hat sich ein Wunsch erfüllt, ihre Suche hatte ein glückliches Ende gefunden.

Zu Beginn etwas schwierig war mit der Kommunikation, denn Sabine konnte nur französisch, ihr Onkel und ihre Tante nur deutsch. Doch dank der Übersetzung auf Google, konnten sie sich ganz gut unterhalten, es folgte ein stundenlanges Hin- und Herschreiben am Handy.

Es wurden Fotos, Briefe und eine Menge an Informationen ausgetauscht, auf beiden Seiten flossen Tränen und es wurde auch gelacht. Beide spürten sofort diese Verbundenheit und Sympathie füreinander.

Sabine hatte nicht nur ihren Großvater gefunden, sie wusste nun auch, dass er einen Bruder und fünf Schwestern hatte.

Julien geb.1899  –  Jeanne Germaine geb. 1901 –  Jeanne geb.1902   –  Leontine geb.1904  –  Marie geb.1906 – Yvonne geb.1909

Ihr Onkel Andreas und ihre Tante Waltraud hatte erfahren, dass sie einen Onkel und fünf Tanten in Frankreich hatten, von denen sie nie etwas gewusst hatten.

Sabine hatte es geschafft, nun hatte sie eine Familie in Österreich, plötzlich hatte sie einen Onkel, zwei Tanten, zwei Cousins und eine Cousine. Und diese wiederum hatten plötzlich eine Familie in Frankreich.

Sie hatten eine Schwägerin Marie-Rose, die Nichte Sabine mit ihren Kindern Adeline, Lauren, Julien, Sean und der  Enkeltochter, Emma.
Der Neffe Marc mit seiner Frau Sandrine und deren Kinder Romain und Manon sowie Enkeltochter Luise.

Sabine teilte all ihre Informationen mit ihrem Bruder Marc und mit ihrer Mutter. Sie freuten sich für Sabine, es gab Tränen der Rührung und des Glücks.

Sbine kann stolz auf sich sein, sie hat mit Mut und Ausdauer sehr viel geschafft. Sie hat Grenzen überwunden und eine Familie vereint.

Heute werde ich am Grab von André Mariette eine Kerze anzünden, werde ihm diese wunderschöne Geschichte erzählen… von seinen zwei wunderbaren Enkelkindern in Frankreich, seinen sechs Urenkenl und seinen zwei Ururenkelkindern.

Ab diesen Tag, wird es einen sehr hellen Stern mehr am Himmelszelt geben, er wird schützend seinen Schein über seine Familie legen.

 Gerechtigkeit hat oft einen langen Weg, für manche kommt sie zu spät, für andere im richtigen Moment“

Für die wahre Liebe gibt es keine Grenzen, sie überlebt Zeit und Raum.

 

Was man im Herzen trägt, kann einem niemand mehr nehmen!

 

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Über die Autorin
Liselotte

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Seit vielen Jahren schreibe ich leidenschaftlich gerne und halte meine Gedanken, inspiriert durch Schicksale, Lebensveränderungen oder Erlebnisse auf Papier fest. Manchmal lustig, manchmal traurig, aber immer ein wenig zum Nachdenken.
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