Die letzte Nacht vor der Trennung

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Nun war sie da, die letzte gemeinsame Nacht vor der Trennung.

Die Entscheidung fiel Hanna nicht leicht, es waren qualvolle Wochen, in denen sie über diesen großen Schritt nachdachte. Natürlich gab es Ratschläge von den Kindern, Freunden und Bekannten, ein jeder meinte es ja nur gut mit Hanna. Doch keiner wusste was es bedeutet einen Menschen, mit dem man 50 Jahre durch`s Leben, soll ich ihn anderen Menschen anzuvertrauen.
Doch Hanna wollte ihr Leben nicht auch verlieren, sie wollte noch leben, ihre Enkelkinder heranwachsen sehen.

Nach Wochen der Erschöpfung, der Verzweiflung und am Ende ihrer Kräfte stand es für sie fest. Ja, ich werde mich schweren Herzens für diesen Schritt entscheiden, denn so geht es nicht mehr weiter.
Zu dieser Zeit wusste sie noch nicht, wie schwer dieser Abschied für sie werden würde.

Kurt, ihr Mann hatte Parkinson und nun auch Demenz, natürlich spürte er diese Veränderung, doch er wusste nicht was es war. Lange sagte er „Ich kann doch alles allein machen, ich brauch doch niemanden, was hast du nur?“
Doch er konnte nicht einmal sein Bett alleine verlassen, er konnte sich nicht mehr allein ankleiden, sich nicht mehr waschen. Er kannte die Uhr nicht mehr und er sah Dinge, die nur er sah. Er lief unruhig hin und her, verseckte die verschiedensten Gegenstände.
Hanna musste ihn immer öfter nachts umkleiden, er konnte seinen Harn nicht mehr zurückhalten und dadurch war das Bett immer nass. Es ging an ihre Kräfte, sie war ja auch schon über siebzig und gesundheitlich ging es ihr auch nicht gut.

Nun kam die Zeit, in der sie Kurt nicht mehr allein lassen konnte, jede Minute, in der sie das Haus verließ, wurde zu Nervenprobe. Sie wusste nie was sie erwartete, wenn sie wieder nachhause kam.
Dann kamen die Vorwürfe von Kurt: „Du willst mich nicht mehr, du hast einen anderen Mann, wo triffst du dich mit ihm?“

Es gab Tränen, Schweigen, Boshaftigkeiten und Seelische Verletzungen.

Hanna konnte ihrem Mann auch nicht klar machen, dass es so nicht mehr weitergehen kann, er verstand es ja nicht was mit ihm los war.

Hanna sagte zu sich: „Ich halte es nicht mehr aus, ich kann nicht mehr!“

Eines Morgens nach einer anstrengenden Nacht sagte sie „Kurt, so geht es nicht mehr weiter“ und zum ersten Mal gab er ihr recht.

Sie zeigte ihm das Seniorenzentrum und sagte, „Ich werde dich jeden Tag besuchen und in dieser Zeit bin ich nur für dich da. Ich bin dann ausgeruht und hab die Kraft, die ich für dich brauche“.
An seinem Gesichtsausdruck konnte sie erkennen, dass es nun für ihn so recht war (zumindest in diesem Augenblick).
Eine Unterhaltung gab es mit Kurt schon lange nicht mehr, er konnte sich nicht mehr ausdrücken, es fehlten ihm die Worte. Hanna stellte mit entsetzen fest, dass der geistige und körperliche Verfall fast täglich zu spüren war.

Und so kam der Abschied, die letzte Nacht mit Kurt in der gemeinsamen Wohnung. Zu gerne hätte sich Hanna mit Kurt unterhalten, mit ihm über ihre gemeinsamen Jahre gesprochen.

So begann für Hanna eine lange, traurige Nacht, die kein Ende finden wollte.
Sie hatte Angst vor dem alleine sein und stellte sich immer wieder die gleiche Frage.

Warum er, warum ich, warum wir?“

In ihren Gedanken reiste sie nun viele Jahre zurück und betrachtete noch einmal ihr gemeinsames Leben und viele Fragen stellte sie sich.
Wann war ich das letzte Mal glücklich, wann hatten wir das letzte Mal gemeinsam gelacht?
Ich habe meinen Mann geliebt, manchmal gehasst und dann wieder geliebt.
Wann konnte ich ihn das letzte Mal um eine Meinung fragen, wann hat er mich das letzte Mal beschützt?
Ich hatte andere Ansprüche an das Leben als Kurt, ich war oft wütend und enttäuscht, ich wollte doch nur glücklich sein und Leben in Harmonie.
Ich bin traurig darüber, dass wir es nicht geschafft haben und doch bin ich froh darüber, dass es ein “UNS“ gibt.
Wie gerne würde ich das alles jetzt mit Kurt besprechen, doch es ist sinnlos, ich würde mit mir allein sprechen.
Sie schmiegte sich noch einmal zu ihm, legte ihre Hand in seine, gerne würde sie nun seine Umarmung spüren und hören, dass er sie liebt und alles wieder gut wird.

In diesem Moment spürte und fühlte sie, wir beide gehören zusammen, sowie Glück, Liebe, Zufriedenheit, Enttäuschung und Schmerz. Das Leben besteht nicht nur aus sonnigen Tagen, es braucht auch den Regen, um neues zu schaffen. Um die Spitze zu erreichen braucht man auch die Talfahrt, um sich neuen Schwung zu holen.
Das Leben ist wie eine Speise, manchmal versalzen, zu scharf, doch manchmal auch sehr süß.
Mit Tränen in den Augen und einen tiefen Schmerz in der Brust, verfiel Hanna in einen befreienden Schlaf.
Am nächsten Morgen fühlte sie Liebe, verbunden mit Schmerz und Trauer, aber glücklich noch einmal neben ihm aufzuwachen. Einen letzten Wunsch schickte sie noch in das Universum.

Ich möchte, dass er mich noch lange erkennt“

Plötzlich dachte Hanna an 2 Sprüche, die sie vor einiger Zeit gelesen hatte, jedoch hatten sie heute eine andere Bedeutung für sie.

Die Erinnerungen ist der einzige Garten, aus den wir nicht vertrieben werden können.“

Damals dachte sie, ja so ist es, unsere Erinnerungen kann uns keiner nehmen.
Wie lag sie damals falsch, sie brauchte sich nur Kurt anzusehen und wusste sofort. Es gibt eine höhere Macht und diese entscheidet, ob deine Erinnerungen bleiben, oder nicht!
Es ist der 2.Spruch und dem kann man, wenn es einen trifft, nicht entfliehen.

Und am Ende, bleibt nicht einmal die Erinnerung!

Auch wenn Kurt eines Tages sein Leben ganz vergessen hat, wird Hanna an seinem Bett sitzen, seine Hand halten und ihm die Geschichte von „Hanna und Kurt“ erzählen.

    

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Über die Autorin
Liselotte

Liselotte

Seit vielen Jahren schreibe ich leidenschaftlich gerne und halte meine Gedanken, inspiriert durch Schicksale, Lebensveränderungen oder Erlebnisse auf Papier fest. Manchmal lustig, manchmal traurig, aber immer ein wenig zum Nachdenken.
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