Ein Baum erzählt seine Geschichte

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Ein Blick aus meiner jetzigen Perspektive sagt mir, ja auch ich stand vor Jahren inmitten dieser Natur. Stark, stolz und gesund, so stand ich hier, viele, viele Jahrzehnte lang.
Mein Blätterdach spendete so manchen Menschen einen erfrischenden Schatten und gab vielen Vogelnester Schutz. Wenn ich an das Summen und Brummen der vielen Insekten denke, werde ich doch etwas traurig, denn all diese Lebewesen waren ein Teil meines Lebens. Sie machten mein Leben fröhlicher, spannender und aufregender, sie gehörten zu mir wie die Sonne und der Regen. An meinen starken Ästen trug ich so manche Schaukel, auf dieser flogen die Kinder jauchzend in die Lüfte, was war das für ein Spaß. Fest verankert waren meine Wurzel mit der Erde, nie dachte ich daran, es könnte jemals zu Ende gehen.
Doch dann kam der Tag, ich hörte es schon von weitem, Motorgeräusche durchdrang die Stille und ich wusste nicht wie mir geschah. Es krachte, meine Äste zersplitterten und meine Blätter flogen haltlos durch die Lüfte. Aufgeregt und ohne Vorwarnung stürmten die Vöglein verängstigt in allen Himmelsrichtungen. Ein Vogelnest lag am Boden und in der Wiese lagen verstreut die zerbrochenen Vogeleier. Welch trauriger Anblick bot sich mir, noch vor wenigen Minuten saß die Vogelmutter brütend auf ihren Eiern und freute sich schon auf das Zwitschern ihrer Jungen.
Sie haben mir die Äste gebrochen, die Blätter ausgerissen und die Wurzel abgeschnitten. Leider konnte ich das Leben einiger Vögel und Käfer nicht retten, es herrschte Panik und Verzweiflung.

„Ich kann euch keinen Schutz mehr bieten“, das waren meine letzten Gedanken.

Ohne meine Wurzeln, Ästen und Blätter, fand ich mich traurig und nackt mit vielen anderen Stämmen in einer dunklen Halle wieder. Nach einer mir nie endenden Zeit, wurde ich dann hervorgeholt. Auch wenn ich inzwischen schon ausgetrocknet war und meine Harztränen vertrocknet waren, spürte ich, ich lebe noch. In jeder Faser meines Stammes spürte ich noch Leben, ich fühlte es genau, ab nun werde ich zu neuem Leben erweckt. Zwei kräftige Hände strichen liebevoll über meinem Stamm, ich fühlte seine bewunderten Blicke und wusste: „Ich werde weiterleben, dieser Mensch, erweckt mich zu neuem Leben.“ Die Menschen werden wieder kommen und sich an meinem Anblick erfreuen. Ich werde ihnen wieder Schatten spenden und sie werden halt an meinen Wänden finden. Auch vielen Tierchen kann ich wieder Unterschlupf und Sicherheit geben.

 

„So stehe ich nun hier, nackt und im Schutz der Natur, doch manchmal reisen meine Gedanken in die Vergangenheit zurück. Und ich weiß, ich bin nicht umsonst gestorben. Denn hier stehe ich nun, stark und stolz, auch wenn sich mein Äußeres verändert hat. Doch meine Seele, meine Seele besitze ich noch und wenn mich ein Mensch berührt, kann er das Pochen meines Herzens spüren.

Ich war einmal ein schöner stolzer Baum, mit einer langen Geschichte und diese ist noch nicht zu Ende.

 

 

Über die Autorin
Bild von Liselotte

Liselotte

Seit vielen Jahren schreibe ich leidenschaftlich gerne und halte meine Gedanken, inspiriert durch Schicksale, Lebensveränderungen oder Erlebnisse auf Papier fest. Manchmal lustig, manchmal traurig, aber immer ein wenig zum Nachdenken.
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